16 verschenkte Jahre, aber der Blick geht nach vorne

Ein „Weiter-so“ in der Landwirtschaft soll es nicht geben: Es liegen konkrete Vorschläge für einen Umbau des Agrar- und Ernährungssystems vor. Wichtig ist aber der politische Wille, diese Veränderungen voranzutreiben und (auch finanziell) zu unterstützen. Auf der Abschlussveranstaltung der Slow-Food-Kampagne „Zukunft würzen!“ wurden Forderungen an die kommende Bundesregierung diskutiert.

Im Nachhinein war Myriam Rapior etwas erschrocken über sich selbst. „Bin ich jetzt zu pessimistisch rübergekommen in meinem Schlussstatement?“, fragte sie in die Runde, als die virtuelle Podiumsdiskussion eigentlich schon beendet war. In ihrem letzten Redebeitrag hatte sie auf die Frage geantwortet, ob sie mit dem Tempo der vereinbarten Szenarien zufrieden sei, die im Abschlussbericht der Zukunftskommission Landwirtschaft (ZKL) skizziert sind. „Nein, ich persönlich bin damit natürlich nicht zufrieden. Unsere Lebensgrundlagen werden gerade in rasanter Geschwindigkeit zerstört. Und hier wurden Kompromisse geschlossen, wo es eigentlich keine mehr geben darf.“

Dabei gilt gerade dieser Abschlussbericht, an dem auch Rapior mitgewirkt hat, schon als kleine Sensation. Die ZKL wurde einige Monate nach den großen Protesten von Bäuer*innen vom Herbst 2019 vom Bundeskabinett eingerichtet. Das Gremium, in dem 30 Frauen und Männer aus den Bereichen Landwirtschaft, Wissenschaft, Wirtschaft und Verbraucher sowie Umwelt und Tierschutz vertreten waren, sollte praxistaugliche Empfehlungen erarbeiten für eine produktive und ressourcenschonende Landwirtschaft. Herausgekommen ist nichts weniger als ein Plan zur Transformation der Landwirtschaft, der von allen Beteiligten mitgetragen wird. Mit anderen Worten: Allen ist bewusst, dass es nicht so weitergehen kann wie bisher, sondern dass die Landwirtschaft einen wichtigen Beitrag leisten muss beim Kampf gegen den Klimawandel und für den Erhalt der Biodiversität.

Die Vision der jungen Generation war gefragt

Es ist nicht zuletzt Myriam Rapior zu verdanken, dass es so weit gekommen ist. Als Vorstandsmitglied der BUND-Jugend war sie das jüngste Mitglied der Zukunftskommission. „Am Anfang war ich skeptisch, ob ich überhaupt zu Wort kommen werde.“ Doch als das Gremium nach zwei Monaten Arbeit noch nicht entscheidend voran gekommen war, kamen die jüngeren Vertreter*innen zum Zuge: Sie wurden aufgefordert, eine Vision der zukünftigen Landwirtschaft zu entwickeln. Dieses Zielbild diente dann als Kompass für die weitere Arbeit und die Leitlinien des Endberichts.

Ob den Worten auch Taten folgen werden, entscheidet sich nach der Bundestagswahl, die für Slow Food auch eine Ernährungswahl ist. Mit der Kampagne „Zukunft würzen! Für eine Ernährungspolitik, die schmeckt“ haben sich Slow Food Deutschland (SFD) und die Slow Food Youth über Monate für eine nachhaltige und faire Landwirtschafts- und Ernährungspolitik eingesetzt und abschließend sieben Forderungen formuliert. Was ist notwendig, um diese durchzusetzen? Darüber diskutierten Vertreter*innen aus verschiedenen Bereichen der Wertschöpfungskette bei der (virtuellen) Abschlussveranstaltung der Kampagne.

Anreize schaffen, wirtschaftliche Perspektiven aufzeigen

Neben Myriam Rapior betonte auch Lena Jacobi von der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft, dass auf den Höfen die Bereitschaft groß sei, anders zu wirtschaften. Die Bäuer*innen erwarteten aber im Gegenzug, dass sie Wertschätzung erfahren und von ihrer Arbeit leben können. „Hier die richtigen Anreize zu schaffen und wirtschaftliche Perspektiven aufzuzeigen, ist ganz wichtig“, betonte Jacobi. Gerade tierhaltende Betriebe hätten derzeit mit den enorm schlechten Erzeugerpreisen zu kämpfen. Die Politik müsse die Rahmenbedingungen verändern, den Mehraufwand für eine gute Tierhaltung und mehr Biodiversität honorieren und Billigpreise im Handel verbieten. Außerdem plädierte Jacobi auch für eine finanzielle Unterstützung von jungen Landwirt*innen: „Wenn wir viele und vielfältige Höfe haben wollen, brauchen wir Hilfen bei Neugründungen, Niederlassungsprämien und Stipendien.“

Michaela Meyer, bei Edeka Südwest Leiterin des Geschäftsbereichs Nachhaltigkeit, sprach sich als Vertreterin des Handels dagegen vor allem für einheitliche Kennzeichnungssysteme aus, etwa bei den Tierhaltungsformen. Letztlich bestimme der Markt, was über die Theke gehe – und viele Verbraucher*innen seien von den unterschiedlichen Labeln und Siegeln überfordert. „Wenn der Umbau der Landwirtschaft erfolgreich sein soll, muss sich das Einkaufsverhalten und die Ernährung der Menschen verändern.“

Anders essen hat nichts mit Verzicht zu tun

In der Politik werde nicht langfristig und nicht strukturiert genug gedacht, kritisierte Jens Witt, stellvertretender Vorsitzender von SFD. Als Koch und Chef eines Unternehmens für Schul- und Kitaverpflegung sieht Witt die Außer-Haus-Verpflegung als großen Hebel der öffentlichen Hand, um neue Maßstäbe bei der Ernährung und der direkten Zusammenarbeit mit der Landwirtschaft zu setzen. Es gelte, die Menschen durch gutes Essen davon zu überzeugen, dass vegetarische Mahlzeiten nicht freudlos seien und nichts mit Verzicht zu tun haben. Diese Überzeugungsarbeit immer wieder zu leisten, sei auch die Aufgabe von Slow Food.

Spürbar war trotz mancher Differenzen, beispielsweise zur Frage der Preisgestaltung bei Lebensmitteln, die Unzufriedenheit aller Teilnehmer*innen der Podiumsdiskussion mit der bisherigen Politik. „Das waren verschenkte 16 Jahre“, so urteilte Jens Witt über die vergangenen vier Legislaturperioden unter Angela Merkel. Insofern verstehe er die Ungeduld mit dem Tempo und den zögerlichen Schritten in die richtige Richtung. Für Pessimismus sah er trotzdem keinen Grund: „Wir müssen jetzt nach vorne denken und mit den Herausforderungen umgehen.“ Und Myriam Rapior stimmte zu: „Die Politik hat viel verschlafen. Aber die Corona-Pandemie hat gezeigt, wie viel in kurzer Zeit möglich ist, wenn der Wille zur Veränderung da ist.“

Wie ein gutes zukunftsfähiges Essen aussehen kann, darum ging es im zweiten Teil der Online-Veranstaltung. Hubert Hohler, Mitglied der Slow Food Chef Alliance und Bereichsleiter Gastronomie in der Fastenklinik Buchinger Wilhelmi, lud ein zum Kochkurs. Auf dem Plan standen Kartoffel-Gnocchi mit Ofengemüse und Tomatencoulis. Verfeinert wurde das bunte und geschmacklich überzeugende Gericht mit einem eigens von ihm und seiner Chef-Alliance-Kollegin Barbara Stadler komponierten Zukunftsgewürz: Die Gewürzmischung mit ihren Zutaten steht für die sieben Forderungen von Slow Food an eine veränderte Ernährungspolitik.

Text: Birgit Schumacher

Die sieben Forderungen für eine nachhaltige und faire Ernährungspolitik lauten:

  1. Schafft eine integrierte Ernährungspolitik!
  2. Nehmt eine Vorreiterrolle beim Klimaschutz ein!
  3. Sorgt für Gemeinwohlleistungen durch die GAP!
  4. Schafft und schützt die Vielfalt auf unseren Feldern!
  5. Gewährleistet Gesundheit und Wohlergehen von Nutztieren!
  6. Verhindert Lebensmittelverluste entlang der Wertschöpfungskette!
  7. Macht das Lebensmittelsystem fairer!

Hier geht es direkt zum Forderungspapier.

Hier finden Sie alle Infos zur Kampagne "Zukunft würzen! Für eine Ernährungspolitik, die schmeckt."

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